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"Rezepte von gestern lösen nicht die Probleme von morgen"

Marc-Oliver Nandy über 27 Jahre bei Mercedes-Benz

Herzlich willkommen zur 69. Ausgabe von Der Autopreneur.

Marc-Oliver Nandy war 27 Jahre bei Mercedes. Vom Trainee zum Director. Deutschland, Japan, China - er hat alles erlebt. Die goldenen Jahre. Die Krisen. Und jetzt die größte Transformation der Automobilgeschichte.

Vor ein paar Wochen hat er den Konzern verlassen. In meinem Podcast spricht er zum ersten Mal völlig offen über seine Erfahrungen aus fast drei Jahrzehnten.

Im heutigen Newsletter teile ich die 12 wichtigsten Learnings. Das komplette Gespräch verlinke ich unten als Video-Podcast.

Marc-Oliver Nandy war 27 Jahre bei Mercedes-Benz

Marc-Oliver Nandy ist Maschinenbauingenieur. 1998 fing er als Trainee bei Mercedes an. Seine Karriere führte ihn durch fast die komplette Wertschöpfungskette. Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Supply Chain.

In Japan war er Vice President während der Finanzkrise 2008 und der Tsunami-Katastrophe 2011.

Als Executive Vice President in China erlebte er 2016, wie der Aufstieg zur Automobilnation begann.

Später leitete er im Digital House die digitale Transformation von Marketing und Sales. Seine letzte Station: Director für die globale Supply Chain im Van-Bereich.

Nach 27 Jahren hat er Mercedes verlassen.

Die wichtigsten Takeaways

1) Der Moment, der alles veränderte

2016 besuchte Marc einen Mercedes-Händler in Zhangzhou (China). Der Investor zeigte ihm die Umgebung: "Du bist 10 Minuten eine neu gebaute Straße entlang gefahren und hast rechts und links nur Baustellen von Batteriefabriken gesehen."

Gleichzeitig präsentierte ihm der Investor Pläne zum massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur in ganz China. Marcs Fazit damals: "Wenn die das alles umsetzen, wird das eine Revolution."

Genau so kam es. Die Batteriefabriken wurden gebaut. Die Ladepunkte installiert.

"Und nach Corona kamen die chinesischen Hersteller mit Produkten zurück, die uns völlig überrascht haben."

2) Software ist die größte Herausforderung

Deutsche Autobauer kommen aus einer Hardware-Welt: "Das Geschäftsmodell basierte immer auf tollen Fahrwerken, verwindungssteifen Karosserien und perfekter Mechanik."

Software war lange Zeit nur ein Zusatz, kein Kernprodukt.

Aber: Der Wettbewerb ist "um ein Vielfaches schneller" geworden. Ein wichtiger Grund: unterschiedliche Arbeitsmodelle. "Wenn du an 365 Tagen entwickeln kannst, bist du natürlich schneller als mit sieben Stundentagen und 30 Tagen Urlaub im Jahr."

3) In Deutschland fehlt eine gesunde Fehlerkultur

In den Unternehmen herrscht oft eine negative Einstellung gegenüber Fehlern:

"Wenn jemand einen Fehler macht, gilt er erstmal als schuldig und wird bestraft. Es wird viel Zeit darauf verwendet, Schuldige zu finden."

In China lernt man aus Fehlern. Punkt. "Innovation passiert im Zusammenspiel aus Fehler machen, daraus lernen und es nochmal probieren."

4) Die Führungsetagen sind zu homogen

Trotz globaler Präsenz sind die Führungsetagen deutscher Autobauer nach wie vor homogen:

"Wenn du in einen Vorstand schaust, ist es meist sehr männlich und sehr europäisch."

Das Problem: "Jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist und nur Geschäftsreisen nach China gemacht hat, kann die Kundenanforderungen dort kaum verstehen. Es dauert extrem lange, bis du in eine Kultur wirklich eingetaucht bist."

"Wir brauchen viel mehr Vielfalt in den Vorständen. Da müsste auch mal ein chinesischer und ein indischer Vorstand da sein."

5) Deutschland kann von Japan und China lernen

Marc hat sowohl in Japan als auch in China gearbeitet. Was wir von dort lernen können?

Von Japan: Die unglaubliche Disziplin und der Fokus auf kontinuierliche Verbesserung. "Die Hingabe, mit der japanische Mitarbeiter arbeiten, ist beeindruckend. Egal welchen Job sie haben."

Von China: Speed und Experimentierfreude. "Chinesische Teams waren immer so erfolgshungrig und scharf auf Neues. Sie hatten Freude an Innovationen und am Wettbewerb."

Sein Fazit: Deutschland fehlt manchmal die "Disziplin der Japaner". Und das "vorwärtsorientierte Mindset der Chinesen".

6) Die Supply Chains werden lokaler

"Wir haben es mit der Globalisierung teilweise übertrieben. Es gibt Teile, die 4-5 mal den Erdball umrunden, bevor sie in einem Auto verbaut werden."

Der aktuelle Trend geht zum "Nearshoring". Also Lieferanten in der gleichen Region oder im gleichen Land zu haben. Das reduziert Transportwege, vermeidet Zollschranken und erhöht die Resilienz.

Aber: Eine komplette Regionalisierung würde die Preise in die Höhe treiben. "Es gibt Umfänge, die wirst du nicht oder nur zu extrem hohen Kosten in einem Hochlohnland produzieren können."

7) Die Rückkehr alter Führungsmuster ist ein Fehler

Corona hat uns neue Arbeitsmodelle gebracht. Jetzt fallen viele wieder in alte Muster zurück:

"Viele Führungskräfte greifen in schwierigen Situationen auf ihren Erfahrungsschatz zurück: 'Früher hatte ich mein Team vor mir sitzen, konnte permanent kontrollieren, was sie tun.'"

Diese Rolle rückwärts ist ein Fehler: "Hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivierst du nicht, indem du sie in eine alte Präsenzkultur und Micromanagement-Umgebung zwängst."

Die Folge: "Die Top-Leute sind gefragt am Arbeitsmarkt. Wenn es keinen Spaß mehr macht, suchen sie sich einen Arbeitgeber, bei dem es flexibler und kulturell spannender ist."

8) Wir haben es schon einmal geschafft - und können es wieder schaffen

"In den 1980er Jahren kamen die Japaner nach Deutschland. Da gab es die gleiche Diskussion: Die Japaner werden uns platt machen. Aber die deutsche Automobilindustrie hat es geschafft, darauf eine Antwort zu finden."

Das Gleiche wiederholte sich mit den Koreanern. Und jetzt mit China.

"Die Erfahrung zeigt: Wenn du dich einem Wettbewerb stellst und ernsthaft nach Antworten suchst, dann kannst du aus solchen Situationen gestärkt hervorgehen."

9) Partnerschaften brauchen Win-Win-Mentalität

Kooperationen spielen eine immer wichtigere Rolle. Doch viele scheitern: "Partnerschaften funktionieren nur, wenn beide Seiten gewinnen."

Er zieht Parallelen zum gescheiterten DaimlerChrysler-Merger. Eine "Hochzeit im Himmel" endete als "Scheidung in der Hölle", weil die Partnerschaft nicht auf Augenhöhe funktionierte.

10) Vom "German Mindset" befreien

"Wir sind tatsächlich an manchen Stellen ein bisschen satt und träge. Wir hängen sehr am Status quo oder sogar an einer gewissen Sehnsucht nach der Vergangenheit und Nostalgie. Das siehst du an dieser sehr ausgeprägten Verbrennerliebe in Deutschland."

Viele Ideen werden im Keim erstickt. "Das geht nicht, ist zu teuer, wollen wir nicht, können wir nicht, dürfen wir nicht." Diese Argumente hört man zu oft.

11) Konzerne wie Mercedes haben noch immer gute Voraussetzungen

"Die deutschen Autobauer sind gut aufgestellt: Sie verdienen noch viel Geld. Haben hochqualifizierte Mitarbeiter. Professionelle Prozesse. Sie wissen, wie man Autos entwickelt, baut und verkauft. Und sie sind weltweit aufgestellt."

Die entscheidende Bedingung: "Sie müssen sich voll reinhängen und dürfen nicht versuchen, mit Rezepten der Vergangenheit die Probleme der Zukunft zu lösen."

12) Drei konkrete Maßnahmen für die deutsche Autoindustrie

Zum Abschluss teilt Marc drei klare Empfehlungen:

Radikale Kundenorientierung: "Man muss viel mehr tun, um wirklich am Puls des Kunden zu sein. Und zwar nicht nur am Puls des deutschen Kunden. Du musst auch in Shanghai, Peking, Tokio oder Seoul die richtigen Features und Produktausprägungen haben."

Innovation als Überlebensstrategie: "Die deutschen Automobilhersteller haben nur eine Chance: Wenn sie technologisch und vom Innovationsgrad her top sind. Etwas Mittelmäßiges wird nie erfolgreich sein. Da werden immer andere billiger, besser und mit höheren Stückzahlen unterwegs sein."

Diversität in den Führungsetagen: Die verschiedenen Denkweisen, Kulturen und Bedürfnisse müssen auf allen Management-Ebenen vertreten sein. Nur so kann man globale Märkte wirklich verstehen und bedienen.

Mein Take

Nach dem Gespräch mit Marc bin ich optimistisch. Wir stehen nicht vor dem Abgrund. Sondern an einem Wendepunkt.

Der entscheidende Wandel muss in der Unternehmenskultur stattfinden.

Wir brauchen mehr Mut, Fehler zuzulassen und daraus zu lernen. Wir brauchen Diversität auf allen Ebenen. Und wir müssen lernen, langfristig strategisch zu denken statt von Quartal zu Quartal.

Die Transformation der Automobilindustrie ist eine enorme Herausforderung. Aber eben auch eine historische Chance, uns neu zu erfinden.

PS: Im Podcast findest du das komplette 75-Minuten-Interview. Definitiv hörenswert! Dort verrät Marc auch sein Erfolgsrezept für eine steile Karriere im Konzern.

Direkt zum Interview auf YouTube

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Philipp Raasch

Bis zum nächsten Mal,
— Philipp Raasch

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