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Was die Leading OEMs bei SDV anders machen
Einige Autobauer haben SDV verstanden. Andere kämpfen noch.
Der Unterschied liegt in den Details: Welche Standards sie nutzen. Welche Tools sie einsetzen. In welcher Phase sie stehen.
Der neue SDV Pulse Report von Thoughtworks zeigt die Patterns der Besten:
→ 46 Technologien, Practices und Trends bewertet
→ Wo stehen die Top-OEMs heute und wo der Rest?
→ Wie erfolgreiche OEMs ihre Teams strukturieren
→ Was Early Adopters anders machen als der Rest
Herzlich willkommen zur 96. Ausgabe von Der Autopreneur.
Über 100 Jahre haben wir Autos über ihre Mechanik definiert. Über Motor und PS. Und wie sie sich auf der Straße anfühlen.
Diese Definition wird gerade komplett neu geschrieben.
Das Auto wird von der Maschine zum Computer auf Rädern. Zum Software Defined Vehicle (SDV). Und deutsche Hersteller kämpfen dabei nicht primär mit der Technologie. Sie kämpfen mit sich selbst. Mit ihren eigenen Strukturen.
“Wir brauchen 40.000 neue Softwareentwickler”
“Wir gründen eine neue Software-Unit”
Das hören wir seit Jahren von deutschen Vorständen. Die Annahme: Wir haben ein Kapazitätsproblem. Wenn wir nur genug Leute auf das Problem werfen, lösen wir es.
Ich habe mit Michael Fait gesprochen. Er arbeitet mit Autobauern weltweit an Software Defined Vehicles.
Und er sagt:
“Zeilen Code zu schreiben ist nicht das Problem in der Automotive-Softwareentwicklung.”
Wenn Code nicht das Problem ist, was ist es dann?
Die bittere Wahrheit: Wir versuchen, ein Software-Produkt mit dem Betriebssystem eines Hardware-Konzerns zu bauen.
Heute teile ich die wichtigsten Erkenntnisse aus unserem Gespräch. Warum das Middle Management unfreiwillig die Innovation tötet. Warum ein Hardware-Manager, der 50 Cent spart, 100 Millionen kostet. Und warum wir nicht mehr Entwickler brauchen, sondern andere Manager.

100 Computer müssen fehlerfrei zusammenarbeiten
Erst mal zur Dimension. Ein modernes Auto ist nicht ein Computer. Es ist ein Netzwerk aus ≈100 kleinen Computern.
Im Automotive nennen wir diese Computer Steuergeräte (ECUs). Sie steuern alles: Bremsen, Airbags, Radio, sogar Fensterheber. Über die Jahre sind immer mehr Funktionen dazugekommen.
Darauf laufen Millionen Zeilen Code. Und diese 100 Computer müssen in Echtzeit miteinander kommunizieren. Fehlerfrei. Weil sonst Menschen verletzt werden können.
Es ist wie ein digitales Orchester, das bei 180 km/h auf der Autobahn perfekt synchron spielen muss. Michael beschreibt es so:
“Wenn mir jemand gesagt hätte: Wir bauen 100 verschiedene Software-Services, deployen die alle ins Internet und die müssen in Echtzeit fehlerfrei zusammenarbeiten... Dann hätte ich gesagt: Das klingt wie eine ziemlich blöde Idee.”
Aber genau das machen wir heute im Auto.
Diese Komplexität lösen wir nicht mit "mehr Entwicklern". Wir lösen sie nur mit einer anderen Organisation.
Und genau die blockiert uns. Hier sind 3 Gründe.
1) Das 50-Cent-Dilemma (oder: Warum Hardware immer gewinnt)
Stell dir vor, du bist Abteilungsleiter für ein Steuergerät. Ein klassischer Hardware-Manager. In deiner Zielvereinbarung steht ein klares Ziel: Kosten senken.
Du findest einen Weg, den Speicherchip im Steuergerät etwas kleiner zu dimensionieren. Du sparst 50 Cent pro Auto. Bei 2 Millionen Autos sind das 1 Million Euro Einsparung. Du bekommst deinen Bonus. Wirst befördert. Und hast deinen Job gemacht.
3 Jahre später. Das Auto ist auf dem Markt. Die Software-Abteilung will ein neues Feature per Over-the-Air-Update ausrollen. Ein Feature, für das Kunden Geld bezahlen würden.
Aber es geht nicht. Warum? Der Speicher ist voll.
Weil wir den billigeren Chip genommen haben.
Die Einsparung von 1 Mio. € heute verhindert Einnahmen von 100 Mio. € morgen.
Das ist das 50-Cent-Dilemma. Unsere Prozesse sind auf den SOP (Start of Production) optimiert. Die Hardware wird gerade so groß gemacht, dass die Funktionen von heute reinpassen. Nicht die von morgen.
Das ist der Kern des Problems. Wir arbeiten noch immer auf SOP (Start of Production) hin. Auf den Moment, wo das Produkt fertig ist.
Aber Software ist nie fertig.
Wenn wir heute ein Auto bauen, müssen wir Jahre vorausdenken. Wir brauchen heute schon Rechenpower für Features, die dann aktuell sind. Von denen wir heute noch gar nichts wissen.
2) Das Middle Management blockiert den Wandel
Das 2. Problem nennt Michael die Frozen Middle.
Als Middle Manager bei einem Konzern gilt oft: Wenn das nächste große Software-Projekt scheitert, behalte ich wahrscheinlich meinen Job. Wenn es funktioniert, werde ich nicht Millionär.
Es gibt keine intrinsische Motivation für das Risiko einer radikalen Veränderung. Michael beschreibt es so: Die Person sitzt in Meetings und sagt immer wieder “Das geht nicht, weil...”. Dann kann sie den Wandel 3 Jahre blockieren. Irgendwann wird sie versetzt oder geht in Rente.
Das ist nicht böswillig. Es ist das logische Ergebnis des Systems. Wer Risiken eingeht, kann verlieren. Wer keine Fehler macht, wird belohnt.
Es ist ein System, das für eine andere Zeit gebaut wurde. Für eine Zeit, in der “fertig sein zum SOP” das Ziel war. Nicht kontinuierliche Verbesserung.
3) “You don't even know what good looks like”
Was er damit meint: Die Entscheider verstehen häufig gar nicht so wirklich, wie moderne Softwareentwicklung aussieht.
Sie kommen aus der Hardware-Welt.
Du sollst etwas Gutes entwickeln. Aber du weißt gar nicht, was gut ist. Weil du es nicht verstehst.
Und das hat fatale Folgen für die Teams:
Viele Entwickler in der Autoindustrie müssen noch immer mit Tools aus der Steinzeit arbeiten. Proprietäre Systeme.
Ein konkretes Beispiel:
In Software Companies werden Änderungen am Code automatisch getestet. Das System sagt mir in Sekunden, ob mein Code funktioniert oder was kaputt macht. Bei vielen Autobauern passiert das noch voll manuell: Ein Mensch (oder Gremium) muss die 500 Zeilen manuell lesen und freigeben. Oft dauert es Tage oder Wochen bis der Entwickler Feedback bekommt.
Das ist nicht nur extrem ineffizient (weil der Mensch ab Zeile 50 ohnehin abschaltet). Es ist ein massives Recruiting-Problem.
Gute Software-Entwickler wollen nicht mit veralteten Methoden arbeiten. Sie wollen moderne Umgebungen und Tools.
Michael sagt: “Automotive könnte der attraktivste Arbeitgeber der Welt sein. Code schreiben, der ein Auto autonom fahren lässt? Viel spannender als E-Commerce.”
Aber die Talente kommen nur, wenn wir ihnen die richtige Umgebung geben. Und dafür brauchen wir Entscheider, die diese Umgebung verstehen und gestalten.
Wir haben noch Zeit (aber nicht mehr lange)
Hier die gute Nachricht: Der langsame Hochlauf der E-Mobilität verschafft uns einen Zeitpuffer.
Warum? Weil Kunden bei E-Autos ein SDV erwarten. Wie bei Tesla. Bei Verbrennern sind sie noch gnädiger.
Aber der Puffer schmilzt.
In China ist die Erwartungshaltung längst gekippt. Dort kaufen Kunden Autos wie Consumer Electronics. Wie ein Smartphone.
Sie erwarten digitale Features. Sie erwarten Software. Deutsche Autos werden dort zunehmend als Produktgeneration von gestern wahrgenommen.
Mein Take
Das größte Problem sind nicht fehlende Softwareentwickler. Es ist nicht fehlende Technologie. Das Problem ist zu 100% organisatorisch und kulturell.
Wir haben Organisationen, die für eine Hardware-Welt gebaut wurden. Für planbare Zyklen. Für “fertig sein zum SOP”. Jetzt brauchen wir iterative Softwareentwicklung. Software ist nie fertig.
Das ist ein fundamentaler Paradigmenwechsel. Und alle Prozesse, alle Organisationseinheiten, das ganze Mindset ist auf das alte Modell ausgelegt.
Die Newcomer aus China haben einen Vorteil. Sie starten von einem anderen Ausgangspunkt. Sie bauen ihre Organisationen von Anfang an für das SDV-Zeitalter. Wir müssen den Maschinenraum umbauen, während die Maschine läuft. Wir müssen an das Betriebssystem unserer Organisation ran.
Das bedeutet konkret:
Incentives ändern: Ein Hardware-Manager darf keinen Bonus bekommen, wenn er durch Sparen die Zukunftsfähigkeit der Software killt
SOP neu definieren: Start of Production ist in der Software-Welt nicht das Ende, sondern der Anfang
Karrierewege öffnen: Entwickler müssen Karriere machen können, ohne Manager zu werden
Software definiert, wie das Auto fährt, bremst und sich anfühlt. Es ist Zeit, dass sie auch definiert, wie wir arbeiten.
PS: Das komplette Gespräch mit Michael Fait gibt es im Podcast und auf YouTube. Darin erklärt er auch, warum GenAI unser Problem nicht löst. Und warum SDV keine Technologie ist, sondern eine Ära.
PPS: Den SDV Pulse Report von Michael & Thoughtworks kannst du hier kostenlos herunterladen.
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Das war’s für heute:

Bis zum nächsten Mal,
Philipp Raasch
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